Ignatianische Ringvorlesung

Der Jesuitenorden begeht weltweit den 500. Jahrestag der Verwundung von Ignatius von Loyola in einer Schlacht um die spanische Stadt Pamplona. Eine lange Phase der Genesung wurde für Ignatius zum Auslöser einer tiefen spirituellen Transformation, die zum Ausgangspunkt für die Gründung des Jesuitenordens und dessen Bildungstradition wurde. In einer Ringvorlesung im Sommersemester 2022 werden Lehrende der Hochschule erörtern, wie ihre Verwurzelung in dieser Tradition ihr Denken prägt.

Ignatius von Loyola; gemeinfrei

Dr. Patrick Zoll SJ, Dozent für Metaphysik und Politische Philosophie an der HFPH, hat die Ringvorlesung konzipiert und geplant - sowohl die beiden öffentlichen Termine, als auch die Werkstattgespräche, die sich nur an Studierende und Lehrende der HFPH richten. Im Interview macht er deutlich, weshalb eine Auseinandersetzung mit Ignatius von Loyola interessant und relevant ist für die Philosophie und die Gesellschaft.

Interview mit Patrick Zoll SJ

Weltweit feiern Jesuiten seit dem 20. Mai 2021 bis zum 31. Juli 2022 das sogenannte „Ignatianische Jahr“. Was dürfen wir darunter verstehen und was wird genau gefeiert?

Patrick Zoll SJ: Stellen Sie sich vor, Sie können Ihr Zimmer nicht verlassen und sind aufgrund von Krankheit sogar längere Zeit an Ihr Bett gefesselt. Stellen Sie sich zudem vor, dass Europa durch Eroberungszüge eines im Osten gelegenen Imperiums bedroht wird. Zurzeit fällt es wohl leider vielen von uns nicht sehr schwer, uns in eine solche Situation hineinzuversetzen aufgrund unserer Erfahrungen mit Covid-19 und der traurigen Realität des russischen Angriffs auf die Ukraine. Vor 500 Jahren war es nicht Russland, sondern das osmanische Reich, welches Europa bedrohte und es war nicht das Coronavirus, sondern eine Kanonenkugel, die am 20. Mai 1521 das Bein von Ignatius von Loyola zerfetzte und ihn so monatelang ans Bett fesselte.

Was wir mit dem sogenannten „Ignatianischen Jahr“ feiern, ist nicht die Ohnmacht und das Leid von Ignatius, sondern die Erfahrung, die Ignatius in dieser Krise seines Lebens machte. Ignatius machte in seiner Ohnmacht und in seinem Leid eine Erfahrung, die wir heute „transformativ“ nennen würden. Seine Erfahrung einer grundlegenden Transformation seines Selbst in der Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben mündete in der Gründung des Jesuitenordens und der Errichtung eines weltweiten Netzes von Bildungsinstitutionen. Dieses Bildungsnetzwerk wiederum hat die Welt transformiert und beansprucht, sie weiter zu transformieren im Sinne der christlichen Botschaft und des christlichen Menschen-, Welt-, und Gottesbildes.

Es ist die Erfahrung, dass die Transformation des Selbst einer einzigen Person einen so tiefen und weitreichenden Einfluss auf die Transformation der Welt haben kann, an die wir uns in diesem Jahr besonders erinnern und anknüpfen möchten. Die Hochschule feiert das Ignatianische Jahr, weil sie aus dieser Erfahrung heraus gegründet wurde und sich der daraus erwachsenen transformativen Bildungsaufgabe verpflichtet fühlt.

Wo finden sich die Erkenntnisse von Ignatius von Loyola auch heute noch in der Lehre und im Selbstverständnis der Hochschule wieder?

Patrick Zoll SJ: Ich möchte drei Dinge hervorheben. Erstens hat sich Ignatius damals sehr bewusst dafür entschieden, an der Universität in Paris zu studieren. Ausschlaggebend war für ihn die Qualität des Lernortes, was sich nicht nur auf die privilegierte geographische Lage der Uni bezog, sondern die Qualität der Lehre und das studentische Miteinander mit einbezogen hat. Dies ist etwas, das Studierende auch sehr an unserer Hochschule schätzen.

Zweitens hat sich Ignatius – obwohl er darauf brannte, Menschen an seiner transformativen Erfahrung teilhaben zu lassen und zum christlichen Glauben hinzuführen – vorgängig für eine gründliche und systematische philosophische Ausbildung entschieden, die er mit dem Magister Artium abschloss. Ignatius hatte erkannt, wie wichtig und nützlich eine sorgfältige und umfassende philosophische Ausbildung für die Realisierung seines Herzensanliegens war. Die Hochschule stellt sich mit ihrer breiten Ausbildung in Systematik und Geschichte der Philosophie in diese Tradition und ist davon überzeugt, dass eine derartige Ausbildung nicht nur hilfreich für jede/n Einzelne*n ist, um ihre/seine ganz persönlichen Ziele zu realisieren, sondern die Gesellschaft auch gut ausgebildete Philosophinnen und Philosophen braucht, um die gegenwärtigen und zukünftigen gemeinschaftlichen Herausforderungen bewältigen zu können.

Drittens war für Ignatius und ist für jesuitische Bildungseinrichtungen ein ganzheitliches Bildungsideal maßgeblich. An der Hochschule wollen wir nicht nur Wissen vermitteln, sondern Menschen in ihrem persönlichen Wachstum fördern. Dazu gehört z.B., ihre kommunikativen Fähigkeiten zu stärken, ihnen zu helfen, ihre eigenen Werte und Ziele zu entdecken und zu reflektieren, und sie dazu zu befähigen, selbstbewusst ihren eigenen Weg im Leben zu wählen und zu gehen. Um dieses Ideal verwirklichen zu können, legen wir sehr viel Wert auf die „Sorge um die/den Einzelne*n“, was sich z.B. in einem sehr guten Betreuungsverhältnis und einer freundschaftlichen und wertschätzenden Atmosphäre auf dem Campus konkretisiert.

Sie veranstalten im Sommersemester 2022 eine Ignatianische Ringvorlesung. Diese umfasst insgesamt 10 Vorträge. Worauf haben Sie bei der Auswahl der einzelnen Vorlesungen besonders geachtet?

Patrick Zoll SJ: Zum einen war mir wichtig, dass die Vorträge die Pluralität unseres Lehrköpers und die Pluralität der hier gelehrten Philosophie widerspiegeln. Es wird einen sehr interessanten Mix an Themen geben, die sich philosophisch mit dem Selbst, dem Verhältnis des Selbst zur Welt, zur Gesellschaft und zu Gott beschäftigen und Themen, die sich philosophisch mit der Weise, wie das Selbst sich medial ausdrückt und kommuniziert, auseinandersetzen. Zum anderen war mir wichtig, dass durch den Bezug der Themen auf Ignatius bzw. die jesuitische Bildungstradition zum Ausdruck kommt, dass es etwas gibt, das uns alle im Lehrkörper hier verbindet. Die Pluralität des Lehrkörpers und die Pluralität des Forschens und Lehrens an der Hochschule ruht auf einer grundlegenderen Einheit auf und wird durch sie erst ermöglicht. Alle, die wir an der Hochschule unterrichten und arbeiten, sind wie Ignatius davon überzeugt, dass es sich nicht nur lohnt, Philosophie zu studieren, sondern dass es Philosophie braucht, um die Welt in eine bessere Welt transformieren zu können.

 

Alle Termine der Ringvorlesung:

Zu den Terminen am 27.04. und 07.07.2022 sind alle Interessierten herzlich eingeladen. Zu den anderen Terminen sind nur Studierende und Mitarbeiter*innen der HFPH zugelassen.

Alle Termine finden in der Aula der HFPH statt.

 

27.04.2022 – 18:15 Uhr

Das transformative Erbe des Ignatius von Loyola

Dr. Christian Rutishauser SJ

 

05.05.2022 – 18:15 Uhr

Hiobs Einsicht und die ignatianische Logik der existentiellen Erkenntnis

Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ

 

12.05.2022 – 18:15 Uhr

Love is in the air! – Zur Metaphysik der Liebe bei Ignatius von Loyola

Dr. Patrick Zoll SJ

 

19.05.2022 – 18:15 Uhr

Spiritualität und Holismus

Prof. Dr. Benjamin Rathgeber

 

02.06.2022 – 18:15 Uhr

Pray as you go! – Ignatianische Spiritualität in digitalen Welten

Prof. Dr. Claudia Paganini

 

09.06.2022 – 18:15 Uhr

„Mit Kontingenzen prinzipiell trostlos leben (Jürgen Habermas)?“ – Ignatianisch zwischen Trost und Vertröstung unterscheiden

Prof. Dr. Eckhard Frick SJ

 

23.06.2022 – 18:15 Uhr

Psychoanalyse und Mystik bei Michel de Certeau SJ

Prof. Dr. Dominik Finkelde SJ

 

30.06.2022 – 17:45 Uhr

Wirtschaftsethik im Lichte der Option für die Armen/Ausgeschlossenen

Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher

 

07.07.2022 – 18:15 Uhr

Denken in Beziehungen. Über Relationalität als sozialphilosophisches Paradigma in jesuitischer Tradition

Prof. Dr. Michael Reder

 

14.07.2022 – 18:15 Uhr

„Ignatius – der Gottsucher“ (Film-Premiere): Der mystische Kern und Ursprung der Exerzitien des Ignatius von Loyola

Christof Wolf SJ

 

Weitere Informationen:

Zur Person: Dr. Patrick Zoll SJ ist 1998 in den Jesuitenorden eingetreten. 2007 wurde er in Mannheim zum Priester geweiht. Seit 2021 ist er Dozent für Metaphysik und Politische Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München. Zuvor war er bereits sieben Jahre lang Lehrbeauftragter für Politische Philosophie und Sozialethik an der HFPH.

Mehr zum Ignatianischen Jahr: https://www.jesuiten.org/ignatianisches-jahr