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Globalisierung und Entwicklung: sozialwissenschaftliche und sozialphilosophische Perspektiven aus Lateinamerika

Hauptseminar 2-stdg. Montag, 17–19 Uhr
Raum: Hörsaal
Termine: ab 8. April 2014
BA: WP/4, WP/6
MAkons: III (EG)
Mag: F3, F7, F11

Thematik

Seit der damalige US-Präsident 1949 die Menschheit in "Entwickelte" und "Unterentwickelte" einteilte und ein Jahrzehnt danach die erste Weltentwicklungsdekade ausgerufen wurde, wird Lateinamerika von der nordatlantischen Zivilisation aus dem Blickwinkel der defizitären, nachzuholenden und zu unterstützenden Entwicklung betrachtet. Diese Sichtweise hat sich auch in Lateinamerika weitgehend durchgesetzt. Allerdings entstanden damals bald auch alternative Analysen und darauf aufbauende Lösungsansätze für den durch Armut und Ungleichheit, Rassismus und viele Formen autoritärer politischer Strukturen charakterisierten Kontinent und seine einzelnen Länder. Dependenztheorie, bewusstseinsbildende Volkspädagogik, Befreiungstheologie und -philosophie wurden – neben verschiedenen Revolutionstheorien – die bekanntesten Versuche der sich gleichzeitig langsam konsolidierenden lateinamerikanischen Sozialwissenschaften und der sie begleitenden philosophischen und theologischen Reflexion, um die strukturellen und kulturellen Ursachen der verhinderten sozialen Gerechtigkeit aufzudecken und Perspektiven für eine selbstbestimmte, das Potential der eigenen Umstände ernst nehmende gesellschaftliche Entwicklung. Der Ausbau des nach dem Ende des sogenannten Realsozialismus nun global genannten Weltsystems, die Debatten über Neoliberalismus, Millenniumsziele, Nachhaltigkeit und Weltfinanzkrise haben die Fortentwicklung dieser theoretischen Perspektiven vorangetrieben und neue Ansätze hervorgebracht, welche nicht nur für das Verständnis Lateinamerikas von Interesse sind, sondern auch in anderen Teilen der Einen Welt fruchtbar gemacht werden können.

Ziele

Das Ziel des Seminars ist eine panoramische Einführung in die klassischen und gegenwärtigen "Entwicklungsprobleme" Lateinamerikas, wobei vor allem lateinamerikanische Sozialwissenschafter und Sozialphilosophen zu Wort kommen und die von ihnen erarbeiteten Themen und Ideen auch mit der gegenwärtigen nordatlantischen und weltgesellschaftlichen Konjunktur konfrontiert werden sollen.

Methode

Nach einer einer allgemeinen Einführung in Gesellschaft, Kultur und Entwicklungsprobleme Lateinamerikas aus sozialanthropologischer Sicht sollen in den Sitzungen 3–9 die ab der zweiten Hälften des 20. Jahrhunderts entstandenen Theoriefelder im Rahmen ihrer kontinentalen Kontexte und ihrer Weiterentwicklung im Hinblick auf das gegenwärtige Weltsystem, den nach 1991 veränderten Nord-Süd-Gegensatz und die interkulturell an indigenen Kosmovisionen orientierte Entwicklungskritik analysiert und diskutiert werden. Dafür sollen von einzelnen SeminarteilnehmerInnen Zusammenfassungen von (übersetzten) Originaltexten vorgestellt und problematisiert werden; für jede Sitzung ist von allen SeminarteilnehmerInnen ein kurzer einführender Begleittext vorzubereiten. Eine erste Liste der Themen und Texte für die Sitzungen 3–9 ist ab Mitte März einsehbar. Der Seminarvortrag kann danach für eine Seminararbeit ausgearbeitet werden, es kann dafür jedoch auch ein anderer geeigneter Text analysiert und diskutiert werden.

Literatur

Zum Einlesen in die Thematik wird empfohlen: Krotz, Stefan, "Die empörende Weltwirtschaftskrise und die lateinamerikanischen Sozialwissenschaften". In: Concordia: Internationale Zeitschrift für Philosophie, Heft 61, 2012, S. 23–33. [Info: ] – Krotz, Stefan, "Lateinamerikanische Philosophie: eine Bestandsaufnahme". In: Stimmen der Zeit, Jg. 137, November 2012, Nr. 11, S. 764–775. – Mader, Elke, Kultur- und Sozialanthropologie Lateinamerikas. Eine Einführung (insb. Kap. 4–7). Institut für Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, Wien, 2003. URL: . – Rinke, Stefan, Geschichte Lateinamerikas. Von den frühesten Kulturen bis zur Gegenwart. Beck (Wissen, 2703), München, 2010. – Schoepp, Sebastian, Das Ende der Einsamkeit: was die Welt von Lateinamerika lernen kann. Westend, Frankfurt, 2011.