Das Nachdenken über den Tod kann zu einer größeren Lebendigkeit führen

Rahel Rehder studiert Medizin und Philosophie und hat im Wintersemester 2021/22 ihr Bachelorstudium an der Hochschule für Philosophie (HFPH) abgeschlossen. Ihre Bachelorarbeit mit dem Titel "Sein Leben geben oder nehmen – Philosophische Reflexionen über das Sterben und den Suizid" wurde kürzlich vom Förderverein der HFPH, pro philosophia e. V., mit dem Bachelorpreis ausgezeichnet. Bei einem Interview haben wir mit Rahel über die Ergebnisse ihrer Arbeit und ihre Beweggründe, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, gesprochen.

Rahel Rehder (links) mit Prof. Dr. Andreas Trampota SJ (rechts), Betreuer der Bachelorarbeit; Copyright: HFPH/ Giuliana Marcus

1. Ihre Bachelorarbeit ist jüngst mit dem Bachelorpreis unseres Fördervereins pro philosophia e. V. ausgezeichnet worden. Sie haben zur Philosophie des Sterbens und des Suizids gearbeitet. Können Sie unseren Leser*innen kurz skizzieren, mit welchen Aspekten des Themas Sie sich besonders auseinandergesetzt haben und was Ihre wichtigsten Ergebnisse sind?

Als Menschen wissen wir, dass wir einmal sterben werden. Der Tod gehört für uns zum Unausweichlichen. Dabei lässt die Ausnahmslosigkeit, mit der dieser einen jeden von uns betrifft, sowie die Machtlosigkeit, mit welcher wir ihm gegenüberstehen, den Tod als ein radikales Widerfahrnis erscheinen. In der Konfrontation mit ihm sind wir offenbar in die pure Passivität hineingestellt.

Das grundlegende Ziel meiner Arbeit war es, zu zeigen, dass eine Sicht, die den Tod des Menschen als ein bloßes Widerfahrnis begreift, notwendig defizitär bleibt. Denn als Personen sind wir prinzipiell in der Lage, zu dem, was uns widerfährt, Stellung zu beziehen. Dabei gehört es zur allgemeinen Struktur unseres Personseins, dass wir das, was wir passiv erleiden, gleichzeitig aktiv vollziehen können. Vor diesem Hintergrund lässt sich insbesondere auch das Sterben als ein aktiver Vollzug der Person deuten, der jedoch durch bestimmte äußere, wie innere Umstände behindert werden kann.  

Robert Spaemann bestimmt den Akt des Sterbens als einen personalen Akt der Hingabe des eigenen Lebens. Denn im Angesicht des Todes müssen wir nicht nur Gegenwärtiges loslassen – eine alltägliche Erfahrung, die sich mit unserer zeitlichen Existenzweise begründen lässt –, sondern unser Leben als Ganzes. Dass wir uns aber überhaupt auf unser Leben als Ganzes beziehen können, liegt wiederum in unserer Sterblichkeit begründet sowie in der besonderen Struktur unseres Bewusstseins, die es uns ermöglicht, unseren eigenen Tod gedanklich vorwegzunehmen.  

Beim Suizid wird das Ineinandertreten von aktivem Vollziehen und passivem Erleiden, welches charakteristisch für das personale Sterben ist, nicht verwirklicht. Vielmehr führt der Suizid zu einer radikalen Aufspaltung des Handelnden in einen aktiven und einen passiven Teil und untergräbt dadurch die spezifische Struktur seines Personseins. Darüber hinaus offenbart der Suizid auf tragische Weise, dass der betroffene Mensch sich von seinem eigenen Leben zutiefst entfremdet hat. Diese Fremdheit tritt gerade dann ein, wenn ein Mensch sich nicht weiter in der Lage sieht, sein eigenes Leben zu bejahen, zu dem wesentlich auch die Dimension des Unverfügbaren, insbesondere die des Leidens (welches bis ins scheinbar Unermessliche zu reichen vermag) und schließlich auch die des Todes gehören.

Mit diesen und weiteren Aspekten habe ich mich in meiner Arbeit auseinandergesetzt und mich dabei auf verschiedene Philosophen bezogen, die diese Thematiken noch sehr viel umfassender und tiefgehender bedacht haben.

 

2. Wie kam es dazu, dass Sie sich mit diesen schwerwiegenden Thematiken beschäftigt haben?

 Sterben und Tod sind keine Nebensache, sondern Themen, die eine besondere Bedeutung für uns Menschen haben, weil sie unsere Existenz in ihrem Kern betreffen und sogar auf radikale Weise in Frage stellen. Ich selbst bin davon überzeugt, dass es nicht gleichgültig ist, wie wir die Zeit, die uns zusammen mit unserem Leben gegeben ist, nutzen und was wir auf dieser Welt hinterlassen. Denn jeder Mensch lebt an einem spezifischen Ort zu einer spezifischen Zeit in einem einzigartigen Beziehungsgefüge von Personen und vermag in diese Beziehungen etwas hineinzubringen, was nur ihm oder ihr möglich ist.

Eine Person, die ich schätze, sagte einmal, dass das Nachdenken über den Tod am Ende zu einer größeren Lebendigkeit führe. Ich denke, das stimmt. Die Frage, was der Tod für uns Menschen bedeutet, hängt immer mit der Frage nach dem guten Leben zusammen, die für uns von kaum überschätzbarer Wichtigkeit ist. Nur wenn der Tod aus der Perspektive des Lebens begriffen wird, lässt sich verstehen, warum er kein notwendiges Übel ist.

 

3. Warum halten Sie eine philosophische Herangehensweise an Sterben und Suizid für besonders wichtig?

Die philosophische Herangehensweise an ein Thema ist zunächst einmal durch ein gründliches und möglichst vorurteilsfreies Nachdenken gekennzeichnet. Gegenwärtig zeigt die Debatte um den assistierten Suizid und die Tötung auf Verlangen, die in vielen Ländern geführt wird, die gesamtgesellschaftliche Relevanz solchen Nachdenkens. Dabei ist das Besondere an der Philosophie stets die Weite ihrer Perspektive. Natürlich ist auch die Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Suizid vom Standpunkt weiterer Wissenschaften, wie derjenigen der Medizin, Biologie, Psychologie, Soziologie etc., notwendig und nutzbringend. Doch die grundlegenden Fragen werden am Ende in der Philosophie behandelt, insbesondere auch deshalb, weil sich die Erkenntnisse aller anderen Wissenschaften noch einmal philosophisch reflektieren lassen.

 

Mehr Informationen über unseren Förderverein pro philosophia e. V.