Islam und Demokratie

Bericht über die Politische Sommerakademie „Islam und Demokratie“ in der Katholischen Akademie in Berlin 22. bis 26. September 2003 von Karoline Dietrich.

Rahmen der Veranstaltung und Teilnehmer

Die Politische Sommerakademie soll in erster Linie ein Gesprächsforum für Studierende aller Fachrichtungen sein, im Sinne einer interdisziplinären Verständigung über gesellschaftliche Problemfelder der Gegenwart, in diesem Fall über die Frage des Verhältnisses von Islam und Demokratie. Sie will die Begegnung mit Politikern und führenden Wissenschaftlern fördern und einzelne politische Institutionen der Bundeshauptstadt vorstellen.

Die Gruppe war mit ca. 25 Teilnehmern recht klein, so dass man selbst im Plenum sehr gut diskutieren konnte. Etwa ein Drittel der Teilnehmer/Teilnehmerinnen waren Muslime ganz unterschiedlicher Herkunft (Türkei, Palästina, Iran, Ägypten, Aserbaidschan), was unsere Diskussionen und Gespräche außerordentlich bereichert hat. Dabei verliefen bemerkenswerter-weise eigentlich keine polarisierenden Grenzen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, wohl aber gab es regelmäßig Kontroversen zwischen den muslimischen Teilnehmern und Referenten.

Während der ganzen Tagung gab es täglich eineinhalb Stunden Kleingruppenarbeit zum Thema der Tagung ‚Islam und Demokratie‘. Dabei waren wir in zwei Gruppen aufgeteilt. In der Kleingruppe, in der ich mich befand, fragten wir uns zunächst, ob es unterschiedliche Demokratie-Verständnisse im Westen und in islamischen Kulturen gibt. Als Arbeitshypothese nahmen wir an, es lägen solche Unterschiede vor, und versuchten konstitutive Merkmale von Demokratie zunächst im Westen und dann in islamischen Ländern aufzuzählen. In der Diskussion ergab es sich schnell, dass der Oberbegriff eher 'gute Regierungsform' statt 'Demokratie' lauten könnte, denn für einige muslimische Teilnehmer schien Letzterer nicht so positiv konnotiert zu sein.

Programm

Montag, 22. September 2003

  • Eröffnung und Kurze Einführung in den Islam (Dr. Ernst Pulsfort, Kath. Akademie, Berlin)
  • Vortrag: "Religionspolitik und Grundrechte: Beispiel Islam" (Hans-Jürgen van Schewick, Richter am Bundesverwaltungsgericht)

Dienstag, 23. September
Tagesthema: Konflikt der Kulturen - Konflikt der Religionen?

  • Vortrag: "Gibt es den 'Clash of Civilisations'? " (Dr. Ralph Rhadban, Katholische Hochschule für Sozialwesen, Berlin)
  • Vortrag: "Muslime in Europa: Inkulturation oder Konflikt?" (Prof. Dr. Jamal Malik, Erfurt)
  • Podiumsdiskussion: "EU-Beitritt der Türkei - auf welche Argumente kommt es an?" (Cem Özdemir und Prof. Dr. Heinrich August Winkler, HU Berlin)


Mittwoch, 24. September
Tagesthema: Politik in islamisch geprägten Ländern

 

  • Vortrag: Weltliche Ordnung im Koran (Yunis Qandil)
  • Vortrag: "Spannungslinien der politischen Kultur der Türkei" (Thomas Kossendey, MdB)
  • Besuch einer Moschee des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (eigentlich für den nächsten Tag vorgesehen)

Donnerstag, 25. September
Tagesthema: Islam in Deutschland

  • Diskussion: "Die 'Islamische Charta' - Weg der Integration?" (Iyman Alzayed, Vorsitzende der Deutschen Muslim-Liga und Dr. Johann Kandel, Friedrich-Ebert-Stiftung, Referat Interkultureller Dialog)
  • Gespräch im Bundesministerium des Inneren "Politische Relevanz des Islam in Deutschland" (Dr. Thomas Lemmen, Fachreferent für Islamfragen beim Bundesministerium des Inneren)
  • Gespräch in der Botschaft: "Islam und Politik in Ägypten" (Botschafter Mohamed Al-Orabi)
  • Gespräch: "Wozu und wie interreligiösen Dialog betreiben?" (P. Prof. Dr. Christian Troll SJ)

Freitag, 26. September
- Abschlussdiskussion und Evaluation

Anregungen - Themen

Das Seminar umfasste thematisch vier einander teilweise durchdringende Blöcke, denen sich die sehr unterschiedlichen und mitunter kontrastierenden Einheiten zuordnen lassen:

  • in den Islam einführende Vorträge;
    Fragen der Situation von Muslimen in Deutschland/Europa bezüglich der unterschiedlichen Formen ihrer Selbstorganisation (in Deutschland und im europäischen Vergleich), bezüglich ihrer Religionsfreiheit und deren Grenzen (dargelegt anhand des Grundgesetzes und diskutiert im Kontext der kontroversen Beispiele vom islamischen Kopftuch, dem Schächten, dem Bau von Moscheen und der Gleichbehandlung verschiedener Religionen hinsichtlich der Förderung), ihres religiösen Lebens (beim Besuchs einer Moschee vom Verband der Islamischen Kulturzentren), der Integration bzw. Abschottung oder Flucht von Muslimen in Ersatzkulturen (grundsätzlich im Vortrag von Prof. Dr. Jamal Malik und konkret bei der Diskussion um die vom Zentralrat der Muslime in Deutschland im Februar 2002 veröffentlichte 'Islamische Charta') und schließlich in Bezug auf Erfahrungen aus dem interreligiösen Dialogs (durch Prof. Dr. Christian Troll SJ aus sehr erfahrener christlicher Sicht);
  • die Perspektive der Politik und politischen Kultur in islamischen Ländern exemplarisch am Beispiel von Ägypten und der Türkei - wobei immer wieder auch andere Länder von Referenten oder Teilnehmern ins Gespräch gebracht wurden;
  • die Frage der Kompatibilität von Islam und Demokratie, bzw. von Islam und Moderne (hauptsächlich anhand der Diskussion um den vermeintlichen 'Clash of Civilizations' und die Essentialisierung von Kultur oder der immer wieder auftauchenden Diskussion um unterschiedliche Islam-Interpretationen, anhand der Diskussion um die Islamische Charta, bei der Kleingruppenarbeit sowie bei der Podiumsdiskussion um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei).

Insgesamt ergab sich durch die je unterschiedlichen Perspektiven, welche die Referenten einbrachten, ein sehr komplexes, lebendiges und differenziertes Bild des Islam. Spannend wurde das insbesondere durch den persönlichen Einsatz, mit dem die muslimischen Teilnehmer ihre sehr unterschiedlichen Auffassungen vom Islam untereinander (und unter Beteiligung der Nicht-Muslime) diskutierten. Trotz der Vielfalt der Positionen und Aspekte vermochte das Leitthema der Akademie - also die Frage des Verhältnisses zwischen Islam und Demokratie, bzw. zwischen Islam und Moderne - den fünf Tagen eine gewisse Einheit zu verleihen. Es zog sich in der Tat wie ein roter Faden durch die gesamte Tagung hindurch - und zwar sowohl in den einzelnen Einheiten als auch in der Diskussion zwischen den Teilnehmern.