Thörner

William James & Josiah Royce a Century later. Pragmatism and Idealism in Dialogue. 25. – 27. Mai 2007 an der Harvard University in Cambridge (MA)

Tagungsbericht von Katja Thörner

Veranstalter

Hundert Jahre nach dem Erscheinen von James‘ „Pragmatismus: A New Name for Some Old Ways of Thinking“ richtet die Harvard Divinity School zusammen mit der Josiah Royce Society, der Society for the Advancement of American Philosophy und der William James Society eine Konferenz aus, die dem Werk und Wirken zweier herausragendender Figuren der amerikanischen Geistesgeschichte gewidmet ist: William James und Josiah Royce. Zu den Referenten und den Teilnehmern der Konferenz gehören mitunter die bedeutendsten Persönlichkeiten, die sich um die Verbreitung, Darstellung, Weiterentwicklung und nicht zuletzt um die anhaltende Lebendigkeit dieses Erbes besondere Verdienste erworben haben: Hilary und Ruth-Anna Putnam, John J. McDermott, David Lamberth, Cornel West, Frank Oppenheim, Nathan Houser u.v.a.. Zudem waren zwei direkte Nachfahren von William James anwesend: Sein Enkel Michael James und dessen Neffe Henry James IV.

 

Ablauf

Der Konferenz ging im Rahmen einer „Pre-Conference Session“ die Präsentation fünf ausgewählter Vorträge von Promovenden aus verschiedenen Universitäten der Vereinigten Staaten voraus. Alex Stehn (Pennsylvania State University) wurde für seinen Vortrag „William James on the Reality of the Ideal Socius: God‘s Creation as Our Ethical Task“ mit einem Preisgeld ausgezeichnet. Die Konferenz war in acht Einzelvorträge und insgesamt drei Podiumsdiskussionen unterteilt, wobei jeweils viel Raum für Anfragen aus dem Publikum blieb. Der Raum für den informellen Austausch zwischen allen Teilnehmern war ebenfalls großzügig gestaltet.

Das Programm sowie Informationen über die Referenten ist der Homepage der Konferenz zu entnehmen www.hds.harvard.edu/JamesRoyce2007/index.html. Die Papers der „Pre-Conference Session“ stehen auf www.roycesociety.org zur Verfügung.

 

Inhalt

John J. McDermott (Texas A&M University) leitete eine Fragestellung ein, die vielfach wieder aufgegriffen wurde: Wer hat uns aus moralphilosophischer Perspektive heute mehr zu sagen, Josiah Royce oder William James? Der Beantwortung wurde zumeist die unterschiedliche Auffassung über die Conditio Humana zu Grunde gelegt, aus der divergierende Annahmen über die moralische Grundmotivation und den Charakter der moralischen Verpflichtung hervorgehen. Royce versteht unter Individuen reale Aspekte des Absoluten, deren Leiden real und als solches als das Leiden Gottes in der Welt zu begreifen ist. Diesem Leid gilt es mit aller Kraft und ohne Unterlass zu begegnen, um auf einen idealen Zustand hinzuwirken, den Royce in einer idealen Gemeinschaft verwirklicht sieht. James lehnt, wie Harvey Cormier (State University of New York at Stony Brook) festhält, die Annahme eines Absoluten im Sinne einer übermenschlichen Macht zwar nicht ab, doch er benötigt derartige Idealisierungen auch nicht. Die Aufforderung dem Leid zu begegnen, ergibt sich für James aus dem unmittelbaren Anblick des leidenden Individuums selbst. Nach Cormier ist James ein Moralist im positiven Sinne, der durch seine Philosophie die moralische Sensibilität stärken möchte. In Royce‘ Konzeption steckt nach Cormier die Gefahr, dass in der Verantwortung gegenüber dem Absoluten, das konkrete und individuelle Leid an Bedeutung verliert. Ein weiteres Votum für James spricht John Lachs (Vanderbilt University, Nashville) in seinem Plädoyer für „moral holidays“ aus. Er sieht in Royce‘ Appell für einen unablässigen Kampf gegen das Übel eine Überforderung der menschlichen Natur und spricht sich dafür aus, dass es auch erlaubt sein müsse, im „easy going mood“ zu leben. Das bedeutet aber weder, dass vorübergehend alles erlaubt noch, dass man von allen Pflichten entbunden sei. Lachs fordert allein die Legitimität des Gedankens ein, dass Gott die Welt auch dann zu einem guten Ende führen wird, wenn man selbst für eine Weile nicht daran mitwirkt, sondern zwischendurch Mozart hört oder ein Bier trinkt. Cornel West (Princeton University) hebt dagegen in seinem beeindruckenden Plädoyer für einen „strenuous mood“ die unablässige Auseinandersetzung mit dem Problem des Bösen in Royce‘ Werk als dessen Stärke hervor. Royce sei „tragic to the core“ und dies sei eine Haltung, die nicht aus der Gelehrtenwelt eines William James hervorgehe und eine Stimme, die West derzeit zu vermissen scheint.

Lag die Pointe von McDermott noch darin, James in der Linie der genuin amerikanischen Denker von Edwards über Emerson zu Royce und Dewey außen vor zu lassen, so geht James T. Kloppenberg (Harvard University) eben jenen Spuren nach, die gerade die von James entwickelten Grundgedanken des Pragmatismus in der amerikanischen Geschichte hinterlassen haben. Ebenfalls auf James fokussiert ist der Vortrag von Sandra Rosenthal (Loyola University, New Orleans), die sich mit der Konzeption des „Pluralistischen Universums“ befasst. In der konkreten Erfahrung bestehe nach James ein beständiger Überschuss gegenüber dem, was wir rational zu fassen vermögen. Dieser Reichtum der konkreten Erfahrung eröffnet die Möglichkeit einer fortlaufenden und offenen Interpretation des Selbst, der Gemeinschaft und der Realität. Das kreative Potential wird auch von Jacquelyn Kegley (California State University at Bakersfield) thematisiert, dieses Mal aus der Perspektive der Philosophie von Royce. Frank Oppenheim S. J. (Xavier University, Cincinnati), der derzeit wohl profilierteste Royce-Experte, thematisierte die zentrale Stellung des Begriffs der Sühne (atonement) in der Philosophie von Royce, um auf diesem Weg eine Brücke zur Religionsphilosophie von James zu schlagen.

Die Podien waren thematisch unterteilt. Die erste Diskussionsrunde hatte die Arbeit der Biographen zum Gegenstand. Problematisiert wurden Fragen der Materialauswahl und der Interpretation von Materialien. Als Leitlinie formulierte Robert Richardson (freier Autor), dass eine Biographie die Frage zu klären habe, warum jene Person genau jenes Werk geschaffen habe.

Eine zweite Runde beschäftigte sich mit dem Einfluss von James und Royce in Europa. Als Vertreter waren Felicitas Krämer (Heinrich-Heine Universität, Düsseldorf),  Mathias Girel (Sorbonne, Paris) und Chris Skowronski (Universität Oppeln, Polen) eingeladen. Obschon in Polen im Gegensatz zu Frankreich und Deutschland nahezu alle Werke von James bereits sehr früh übersetzt waren, spielt der Pragmatismus bis heute in der polnischen Philosophie so gut wie keine Rolle. Skowronski erklärt das u.a. damit, dass man sich hauptsächlich an Deutschland und Frankreich orientiere und man aus den USA keine ernstzunehmende Philosophie erwarte. Zudem laufe der optimistische Grundzug und die Zurückweisung der spekulativen Philosophie, wie sie als charakteristisch für den Pragmatismus  angesehen wird, dem polnischen Interesse an der Philosophie entgegen. Girel beschrieb eine Geschichte der Missverständnisse des Pragmatismus in Frankreich, die erst allmählich Aufklärung finde. James wurde hauptsächlich in der Literaturwissenschaft oder im Rahmen der Rezeption vonseiten bedeutender französischer Philosophen wie etwa Charles Renouvier und Henry Bergson wahrgenommen. Auf zahlreiche Fehldeutungen konnte auch Krämer in Deutschland verweisen. Zudem sei eine adäquate Würdigung der Philosophie von James dadurch erschwert worden, dass man sein Denken oftmals als eine defizitäre, verflachte Version der Gedanken von Charles S. Peirce aufgefasst habe, dem in der Philosophie ein weitaus höherer Status zugesprochen werde. Sowohl in der Konzeption des Verhältnisses von Körper und Geist sowie in der politischen Philosophie liege im Denken von James jedoch nach wie vor viel Potential.

Die letzte Runde diente der Reflexion auf die Konferenz. Peter Hare (State University of New York at Buffalo) hob nochmals die tiefe Verwurzelung des Pragmatismus in der amerikanischen Kulturgeschichte hervor. David Lamberth (Harvard Divinity School) hielt fest, dass offenkundig geworden sei, dass James und Royce nicht nur als Antagonisten gesehen werden können, sondern sich aus der heutigen Sicht viele Parallelen und Gemeinsamkeiten auftun. Dies wurde auch von Hilary Putnam (Cogan University, Cambridge) bestätigt. Zudem betonte Putnam die anhaltende Bedeutung des Pragmatismus in der Gegenwart und Zukunft. Mit dessen Hilfe können man begleichen, was lange versäumt wurde, nämlich sich auf die bedeutenden Fragen der Menschheit einzulassen. Das Denken von James wie von Royce sei zutiefst politisch und trage Intuitionen in sich, die bspw. in der Frage, wodurch der Konsens einer Gemeinschaft gestiftet werde, über das politische Denken eines Denkers wie Habermas hinausführen. Putnam’s Vorschlag, einen Sinn für „loving loyalty“ wiederzugewinnen, lässt sich an West‘s Forderung anknüpfen, „generosity“ als Topos der Philosophie wiederzuentdecken. Ebenfalls an den Vortrag von West anknüpfen, lässt sich Putnam’s Statement, dass es in der Verantwortung der Lehrenden liege, dafür zu sorgen, dass an den Universitäten wieder „»Bildung«“ und nicht Wettbewerb im Vordergrund stehe.

 

Abschließend

Als ausländische Teilnehmerin bot diese Konferenz für mich nicht zuletzt einen Einblick in die empfindliche Spannung, unter der dieses Land derzeit steht. Der Pragmatismus als die genuin US-amerikanische Strömung in der Philosophie scheint dazu prädestiniert, Menschen zu versammeln, die daran festhalten, dass das Recht auf freie Entfaltung eines jeden Individuums und Respekt gegenüber den unterschiedlichsten Lebensidealen Grundpfeiler einer freiheitlichen Ordnung darstellen. Gedankt sei in diesem Zusammenhang der außerordentlichen Offenheit, Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft aller, die dafür sorgten, dass mir dieser Aufenthalt in bester Erinnerung bleiben wird.