Bildung zum Widerstand

Ein Interview mit PD Dr. Barbara Schellhammer und Berthold Goerdeler über die Ziele ihrer Vorlesungsreihe „Bildung zum Widerstand".

In diesem Sommersemester beschäftigen wir uns in unserer Vorlesungsreihe mit der „Bildung zum Widerstand." Wir haben mit den Organisator*innen, PD Dr. Barbara Schellhammer und Berthold Goerdeler, darüber gesprochen, was sie mit dieser Reihe erreichen möchten.

Alle Termine der Reihe und die unterschiedlichen Themen finden Sie unter: www.hfph.de/widerstand

 

Herr Goerdeler, warum ist „Bildung zum Widerstand“ in der heutigen Zeit so wichtig? Was ist der Grund für Ihr Engagement in dieser Sache?

Wir haben in der Vergangenheit schwere Zeiten einer totalitären Politik erlebt. Meine eigenen schlimmen Erfahrungen, die ich als Angehöriger einer Familie machen musste, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus führend war, zeigen, dass damals zu viele Menschen kritiklos mitgelaufen sind. Das war ein Riesenproblem und führte, wie bei einer ansteckenden Seuche, dazu, dass sich Menschen dem System ergeben haben. Auch heute gibt es kaum einen Bereich, der als politikfrei bezeichnet werden kann und ich bin besorgt darüber zu sehen, dass nationalistische Parolen wieder so viele in ihren Bann ziehen.

Wir möchten mit unserer Ringvorlesung dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft nicht wieder extremistischen Strömungen erliegt. Es ist uns wichtig, Menschen für Anfänge solcher „-ismen“ zu sensibilisieren. Dazu gehört das Wissen über die Zusammenhänge und ihre Auswirkungen. Wir haben Referent*innen aus unterschiedlichen Disziplinen und gesellschaftlichen Bereichen eingeladen und möchten einen Bogen von Damals zu Heute spannen, bei dem wir die Frage stellen: „Wie geht Bildung zum Widerstand?“

 

Frau Schellhammer, sollten sich Philosoph*innen stärker sozial engagieren?

Ja, auf jeden Fall – und zwar aus mindestens zwei wichtigen Gründen: Erstens, muss man die kritische Frage Adornos ernstnehmen: Wie ist Philosophie nach Auschwitz noch möglich? Die schreckliche Erfahrung des Holocaust verpflichtet. Philosophie muss sozialpolitisch wirksam werden und zum kritischen Denken auch außerhalb des Elfenbeinturms anregen – eine hoch spezialisierte „High-Tech-Philosophie“ vermag dies nicht – sie steht vielmehr in der Gefahr, weit abgehoben über der gesellschaftlichen Realität nationalistischen Tendenzen wieder nichts entgegensetzen zu können.

Zweitens ist die „Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei“, wie Adorno schreibt, „die allererste an die Erziehung“. Ich meine, dass gerade die Philosophie es vermag, komplexe Dynamiken zu analysieren und begründet Orientierung zu geben. Sie kann Impulse liefern, die für die Entwicklung der Demokratiefähigkeit unerlässlich sind. Dazu gehören vor allem auch die Konflikt- und die Fremdheitsfähigkeit. Deshalb ist die Ringvorlesung auch offen für Nicht-Studierende, wir wollen in die breite Gesellschaft hinein wirken.

Das ist ja auch ein zentraler Auftrag der Hochschule für Philosophie: gesellschaftsrelevant sein, sich nicht wegducken, sondern mit dem, was die Philosophie auszeichnet und vermag, präfaschistische Tendenzen zu erkennen,

Handeln zu begründen – und zwar nicht reaktiv, sondern reflektiert und (selbst-) bewusst antwortend – um so Menschen zum Widerstand und zu einem besonnen zivilen Ungehorsam zu mobilisieren.

 

Frau Schellhammer, der Titel der Reihe impliziert eine positive Haltung zum Widerstand. Gibt es aus Ihrer Sicht auch problematische Formen von Widerstand?

Meine Antwort auf diese Frage kann ich direkt anknüpfen an die vorherige. Problematisch ist ein „grundloser“ oder ein „unbegründeter“ Widerstand, nur um des Widerstands willen. Dahinter steht häufig eine unreflektierte Frustration, die bloß nach einem Auslass sucht. Ein Widerstand, der keine Gründe angeben kann, die auch in der Lage sind, sich einer konstruktiven Debatte zu stellen, ist gefährlich. Denn er ist in sich gekehrt, auf sich selbst bezogen und nicht dran interessiert, sich ernsthaft auseinanderzusetzen.

Ein guter Widerstand ist nicht nur gegen etwas, sondern vor allem für etwas; er ist nicht rückwärtsgewandt, sondern denkt nach vorne. Das hat übrigens Carl Goerdeler auf beeindruckende Weise praktiziert. Er hat nicht nur den Tod Hitlers mitgeplant, sondern bereits einen gut durchdachten Pan für die Zeit nach dem Sturz des Regimes entwickelt. Er wollte sicherstellen, dass das Land nicht im Chaos und in der Gewalt versinkt, sondern auf der Basis eines demokratischen Rechtsstaats geordnet in die Zeit nach der Gewaltherrschaft gehen kann.

Mir hat die Rede von Frank-Walter Steinmeiner zum 9. November 2018 gefallen. Er betonte hier die Bedeutung eines „demokratischen Patriotismus“ der kein plumpes Ruhekissen ist oder vielleicht sogar der Abschottung dient, sondern beständiger Ansporn. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns auf unsere Wurzeln besinnen und dabei gerade durch unsere Vergangenheit angestachelt werden, widerständig zu sein.