Tagung Totenkulte

Tagung Totenkulte, Graduiertenkolleg der Universität Konstanz, vom 12. bis 14. Januar 2005;Bericht zur Tagung „Totenkulte“ von Marco Burgert M.A.

Die Tagung „Totenkulte“ wurde vom Graduiertenkolleg „Die Figur des Dritten“ der Universität Konstanz ausgerichtet. Sie ging über drei Tage und bot insgesamt siebzehn Vorträge unterteilt in vier Sektionen aus den verschiedensten wissenschaftlichen Forschungsbereichen.

Das Graduiertenkolleg selbst ist aus dem literaturwissenschaftlichen Bereich der Universität Konstanz hervorgegangen und versucht die Figur des Dritten sowohl inhaltlich als auch formal zu erfassen.

Literarisch gesehen ist die Figur des Dritten zunächst inhaltlich von Bedeutung als eine dritte Person, die in bestehende und (scheinbar) funktionierende Beziehungen eintritt und so Bewegung und Veränderung auslöst. Das „Dritte“ kann aber auch ein Medium sein, durch das hindurch erst Beziehung möglich wird. Das „Dritte“ kann also Störung, Trennung oder Verbindungsherstellung bedeuten.

Die Literatur ist selbst auch ein solches Drittes, das Medium, durch das Autor und Leser in Verbindung treten. Offensichtlich bedarf es in vielen Bereichen des menschlichen Lebens solcher „Figuren des Dritten“, damit Beziehungen möglich werden. Die Figur des Dritten kann dabei einerseits einfach nur einen Bezug herstellen, bzw. ihn verweigern, andererseits aber kann sie auch selbst etwas Eigenständiges sein, kann ein Zwischenreich werden.

Auf das Leben als Ganzes bezogen bildet der Tod die vielleicht größtmögliche Entgegensetzung - Leben und Tod bilden ein Gegensatzpaar, das aber doch beständig in unserem Dasein zusammenkommt. Daher stellt sich die Frage, wie dieser Gegensatz gedacht und gelebt werden kann, wie und durch welche Figur des Dritten dieser beständige Widerspruch unseres Daseins also vermittelt werden kann. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen besteht die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit diesem Phänomen des bestehenden Widerspruches des Todes als Teil unseres Daseins. Sei es als Abtrennung des Todes vom Leben, sei es als Hineinnahme in das Leben - immer bedarf es eines Dritten, eines Mediums, durch das der jeweilige Kontakt von Leben und Tod gefestigt oder die Abtrennung gesichert werden kann.

Die Totenkulte sind die Weise, wie solches geschieht. Sie sind damit immer auch die Weise, wie der Widerspruch von Leben und Tod am offensichtlichsten gelebt wird, denn in ihnen zeigt sich, was eine Gemeinschaft unter Tod und Leben versteht.

Oft öffnen Totenkulte einen Zwischenraum, einen Bereich, vielleicht sogar eine Welt des Zwischen, in die die Verstorbenen zunächst eintreten, bevor sie in das eigentliche Totenreich eingehen dürfen. In solchen Zwischenwelten können auch Tod und Leben, vertreten durch die Toten und die Lebenden, zusammenkommen und in Kontakt treten. Damit dies gelingen kann, benötigen die Lebenden Rituale, die sie aus dem Reich des Lebens heraustreten lassen, die aber auch aus der Zwischenwelt eine Rückkehr in ihre Welt ermöglichen.

Andererseits benötigen auch und gerade die Toten selbst solche Rituale, ausgeführt noch als Sterbende oder von ihren Angehörigen, die ihnen ermöglichen in dieses Reich einzugehen und von diesem weiter ins Reich des Todes zu kommen, oder von diesem zeitweise zurückzukehren in das Zwischenreich.

Die Totenkulte in ihren verschiedensten Ausprägungen sind also Übergangs-, Trennungs- oder Verbindungsrituale, in denen das Verständnis des Lebens und des Todes, wie es besteht, gesichert wird. Sie sind Ausdruck des Selbstverständnisses der sie durchführenden Menschen. In ihnen zeigt sich, was der Tod ist, was das Leben ist, und vor allem, wie ein Leben mit der Sterblichkeit möglich ist für die jeweiligen Menschen, die diese Rituale begehen. In ihnen erst wird der Umgang mit dem Tod ermöglicht und der Tod besänftigt, indem er „verstehbar“ wird.

 Als solche Totenkulte müssen daher schon Streberituale verstanden werden, in denen der Sterbende auf seinen Tod sich vorbereitet (oder das Sterben gerade geleugnet wird), in denen er also in ein Zwischenreich eintritt (oder dies gerade nicht zugelassen wird). Andere Totenkulte sind die Trauerrituale, in denen die Hinterbliebenen sich vom Verstorbenen verabschieden und selbst aus dem Zwischenreich zurückkehren können, in das mitgenommen zu werden, die Hinterbliebenen immer in Gefahr sind.

Die eigentlichen Totenkulte in Form der Verehrung der Toten, der Ahnenkulte oder magischer Rituale zur Kontaktaufnahme sind der Abschluß der ineinander übergehenden Rituale des Todes, und festigen selbst die Gemeinschaft, insofern die Verehrung der Toten immer auch eine Sicherung der Vergangenheit der Gemeinschaft bedeutet, ja sogar erst Gemeinschaft schafft. Als Abschluß der Totenkulte sind sie so zugleich Neuanfang der Gemeinschaft. Zugleich ist mit dieser Vergangenheitsgewinnung die Gewinnung einer nicht mehr ganz so ungewissen Zukunft möglich, da aus dem Kult der großen Toten der Vergangenheit eine Bestimmung für das weitere Verhalten der Gemeinschaft zu gewinnen versucht wird.

Totenkulte haben damit also nicht nur die Aufgabe, eine Verbindung von Leben und Tod zu ermöglichen, sondern auch eine Verbindung innerhalb einer Gemeinschaft zu gewähren und eine zeitliche Kontinuität dieser Gemeinschaft zu sichern, die Gegenwart aus der Vergangenheit heraus in die Zukunft zu führen und so das Dasein der Gemeinschaft selbst zu sichern. Totenkulte sind Kumulationspunkt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Daher sind Totenkulte zu allen Zeiten von Staaten zu ihrer Stabilisierung verwendet worden, und die Vereinnahmung bedeutender Toter galt immer auch dem Versuch, die eigene Herrschaft aus der Vergangenheit heraus zu rechtfertigen.

Diesen vielfältigen Aspekten der Totenkulte galt die Aufmerksamkeit der siebzehn Vorträge mit den unterschiedlichsten Perspektiven, die wiederum in fünf Sektionen aufgegliedert wurden.

Die erste Sektion war benannt „Grabmale“. In den ersten zwei Vorträgen von Olaf Rader und Dr. Philipp Zitzlsperger ging es um die Frage der Bedeutung der Grabmäler, weniger für den Toten selbst als vielmehr für die Gemeinschaft bzw. die Stifter oder den (sich erst noch bildenden) Staat. Der Tote zeigt sich als idealer Bezugspunkt für eine Gemeinschaft, als Ort der Kristallisation von Vorstellungen und Hoffnungen, ebenso wie als Mittel zur Identitätsstiftung. Dabei erweist sich der Tote selber als weniger bedeutsam denn die mit ihm einhergehende Symbolkraft, so daß Reliquien auch dann noch tragende Bedeutung haben können, wenn ihre Authentizität mehr als zweifelhaft ist. Es genügen die um die Leiche (oder um ihre Auffindung) sich bildenden Mythen, um dieser eine Bedeutung zu geben, die sie über Zweifel erhaben macht. Daher ist das Grabmal selbst oftmals hinreichender Bezugspunkt, ungeachtet dessen, ob der jeweilige Tote in diesem liegt oder nicht. Diese Bedeutung kann auch im Negativen zum Tragen kommen, wobei dann die Vernichtung der Leiche, bzw. des Grabmales den endgültigen Sieg nicht nur markiert, sondern tatsächlich bedeutet.

Eine äußerst eigenwillige Bestattung mit Symbolkraft stellt dabei nach Ansicht von Patrick Eiden „Der Tod des Vergil“ von Hermann Broch dar. In diesem Werk versucht Broch Vergil endgültig sterben zu lassen, d.h. ihn zu würdigen, eine Einordnung in das Gewesene zu leisten und so den Raum zu schaffen für Neues. Der Versuch geht darauf zurück, daß die übliche Monumentalisierung oder Verdammung Vergils diesen in einer Halblebendigkeit hält, die weder Vergil angemessen würdigt, noch Eigenständigem Raum läßt. Dem gegenüber soll der Roman selbst Grabmal sein, also endgültige Würdigung und Abschied.

Die zweite Sektion drehte sich um „erzählte Tode“, in der die literarische Verarbeitung des Todes betrachtet wurde. Prof. Waighoff unterzog mittelalterliche Ritterromane einer Untersuchung und zeigte, wie in diesen durch eine Auseinander-setzung mit den heidnischen Gebräuchen und Todesvorstellungen die eigene christlich-ritterliche Glaubenswelt an Schärfe gewinnen konnte.

In der Betrachtung der Werke Nikolai Gogols durch Nikita Sedov wiederum erschien die Literatur selbst als das Tote, das nur durch eine Kommentierung lebendig, d.h. verstehbar gemacht werden kann. So wie in seinen Werken immer wieder ein Mittler nötig ist, der erklärt, was ein anderer sagen möchte, scheint für Gogol dem Text überhaupt eine Lethargie zu eignen, eine Unfähigkeit, sich verständlich zu machen, da die Schrift selbst tötet; sie sei es, die entkörperlicht und somit würde jede Beschäftigung mit Literatur selbst zu einem Todeskult. Aufgrund solcher Überlegungen scheint Gogol sich mehr und mehr dem Schreiben verweigert zu haben.

Im dritten Vortrag dieser Sektion von Tobias Weber kamen die Überlegungen Stephen Greenblatts zur Sprache, inwieweit ein Gespräch mit den Toten möglich sei, insofern sie sich in ihren Texten offenbaren; solch ein Gespräch sei nötig, um den Text selbst angemessen zu verstehen. Der Autor kann aber nur lebendig werden durch die Leistung des Lesers selbst, wodurch das Dilemma bestehen bleibt, daß Textverstehen immer Textdeutung ist.

Die dritte Sektion „Tote Körper“ wurde eingeleitet mit einer Darstellung der Leichenphotographie im 19. Jahrhundert durch Christiane Arndt. Diese besonders in den Vereinigten Staaten beliebte (bis zu 40% aller Aufnahmen waren solche Leichenphotographien), aber auch in europäischen Staaten ausgeübte Form der Photographie, erschien den Menschen damals als ein Weg der Verlebendigung der Toten und so als eine Bewahrung deren eigentlicher Aura. Diese Form der Photographie wurde von dem Gedanken der Mimesis getragen, d.h. das Bild sollte das Dargestellte derart abbilden, daß dessen eigentliches Wesen zur Erscheinung kommen kann, eben die Lebendigkeit des Menschen. Auf diese Art hoffte man die Ewigkeit des Dargestellten zu gewinnen, was aber erreicht wurde, war eine Fixierung des Todes - die Mimesis mußte scheitern.

Der folgende Vortrag von Eva Blome und Johanna Offe zeigte die Widersprüchlichkeit der Ausstellung „Körperwelten“ auf. Deren Anspruch bestünde darin, den Menschen in seiner Besonderheit zu zeigen, die völlig auf die Körperlichkeit reduziert werde. Dabei wird der Mensch jedoch nicht nur auf die Körperlichkeit reduziert, sondern in der Plastination wird jegliche Individualität beseitigt. Aus der Leiche eines Menschen mit eigener Geschichte und Persönlichkeit wird ein Plastinat ohne Vergangenheit und Bezug zur ehemaligen Leiche. Die Reduktion des Menschen auf seine Körperlichkeit scheint aber gerade dem heutigen (westlichen) Empfinden zu entspringen, dessen Körper- und Jugendkult ähnliche Wurzeln zu haben scheint. Zumindest erhoffen sich viele Menschen mit einer „Körperspende“ für die Ausstellung die Ewigkeit des eigenen Körpers und damit ihrer selbst, denn zumindest die Plastinate gelten als ewig haltbar.

Der letzte Vortrag in dieser Sektion von Volker Gottowik galt dem Maskenwesen auf Bali und dem Vergegenwärtigen der Ahnen durch die Masken. In dem rituellen Auftreten der Ahnenmasken (ein „Baron Landung“ genanntes mythisches Paar) scheinen die Balinesen nicht nur ihre ethnische Herkunft in Erinnerung zu rufen, sondern vor allem ihre gegenwärtige Situation auszuhandeln, rituell durchzuspielen und normativ zu festigen. Die Ahnen - die Toten - erhalten so die tatsächliche Funktion, das Gegenwärtige zu bewahren und zu sichern; sie sind nicht nur Schutzmacht, sondern unmittelbar Handelnde in der Gegenwart.

Im ersten Vortrag der Sektion „lebende Tote“ bedachte Brigitte Weingart die AIDS-Diskussion der achtziger und neunziger Jahre. Aus der herabsetzenden Interpretation als „Tote auf Urlaub“ und der diskriminierenden Deutung von Aids als Konsequenz eines bestimmten Lebenswandels gelang es der „ACT-UP“- Bewegung durch einen Vitalismus des Protestes, AIDS als gesellschaftliches Problem zu etablieren und Künstlern/-innen mit HIV sich selbst zu einer Todeselite zu stilisieren, deren besondere Situation eine bewußte Übernahme der eigentlich menschlichen Situation sei.

Im folgenden Vortrag zeigte Martin Zillinger auf, wie in den Dämonen- und Heiligenkulten Marokkos die Toten immer zugleich da und doch nicht da sind und den Lebenden in Zeiten von Krisen, Übergangs- und Grenzzuständen (wie Trance oder Traum) erscheinen. Solche Austauschprozesse mit den (Un-)Toten sind destabilisierend und gefährlich, zugleich aber auch fruchtbringend, indem die Heiligen das genealogische Ordnungsprinzip der Gesellschaft garantieren und Aneignung und Ausdifferenzierung ermöglichen.

Die Verwendung der Zombies in westafrikanischen Videos verdeutlichte Tobias Wendl danach als einen Weg der Aneignung fremder Medien und Motive in Westafrika, um die eigene Situation zu reflektieren. Zombies werden dabei gedeutet als bewußtlose und hilflose Opfer okkulter Personen, denen sie in erster Linie als finanzielle Quelle dienen.

Dem Selbstmord als rituellem Akt galt dann die Aufmerksamkeit des folgenden Vortrags. Das japanische Selbstverständnis, das immer noch stark von dem Ideal des Samurai geprägt wird, offenbarte in der Reaktion auf den tatsächlich begangenen rituellen Selbstmord eines Schauspielers seine Konsolidierung, die eher über die Bühnendarstellung geschieht als durch lebendige Vorbilder. Die bewußte Offenlegung des japanischen Lebens als eines Schauspiels durch einen Schauspieler, indem dieser seinen tatsächlichen Selbstmord vorführte, brachte aber anstelle eines beabsichtigten Rückbesinnens hin zu den alten Idealen (und des überkommenen Wertekanons) die Abwendung der Öffentlichkeit von diesem Schauspieler, so daß dessen Entleibung nicht zu seiner Ehre, sondern zu seinem endgültigen Versagen wurde.

Die letzte Sektion, die den „Erbschaften“ galt, wurde eingeleitet durch eine eigenwillige und sehr moderne Form der „Erbschaft“ - die Sterbehilfe: Man übernimmt von dem Sterbewilligen die Tötungsaufgabe. Bei der aktiven Sterbehilfe tritt allerdings eine Paradoxie auf, die Petra Gehring versuchte aufzudecken; denn der freie Wille, der Stolz des modernen Menschen, soll sich darin äußern, daß ein anderer tut, was der Betroffene nicht selbst zu tun im Stande ist, oftmals nicht einmal auszusagen vermag. Die Entscheidung wird zugunsten der Freiheit des Betroffenen diesem abgenommen. In einer auffälligen Koinzidenz ähneln die Argumente der Sterbehilfebefürworter dabei denen der Vordenker der Euthanasie aus dem Ende 19 Jh. (Georg Simmel, Ernst Haeckl, Jost)

Besonders in Bezug auf die Gleichsetzung des Gedankens von Freitod, Gnadentod und gutem Tod (Euthanasie), die sowohl die modernen Befürworter der individuellen Sterbehilfe als auch die Anhänger der erlaubten Tötung „gesellschaftlich unnützer oder schädlicher“ Menschen im 19. und bis Mitte des 20. Jh. vertreten, zeige sich eine bemerkenswerte Verwandtschaft. Beider Argumentationsstränge sind auch historisch eng miteinander verbunden entstanden und gründen in einer Widersprüchlichkeit des neuzeitlichen Denkens:

Einerseits gilt der Wille des Einzelnen als autonom, andererseits wird gerade dieser Wille immer wieder durch die Feststellung eines Allgemeinwillens „unterwandert“, der von jedem erkennbar sei, und der erlaube, das zu erkennen, was der Einzelne wahrhaft wolle, ungeachtet dessen eigentlicher Aussage.

Bei Levinas zeigt sich für Konstanze Baron „Erbschaft“ im Sinne des alttestamentarischen Auftrags Gottes an sein Volk auch im Verhältnis zwischen den Menschen. Der begegnende Mensch in seiner radikalen Andersheit verpflichtet den je Anderen in einer Unbedingtheit, die dessen Unantastbarkeit einfordert: „Du sollst mich nicht töten“ ist die unabweisbare Bestimmung, die jeder in der Begegnung erfährt. Als Adressat befindet sich das moralische Subjekt immer schon in der Position des Erben als des Schuldigen.

In dieser Verpflichtung ist der Andere aber nicht nur der Fordernde, sondern er stiftet auch ein Bündnis der gegenseitigen Verbindlichkeit. Die Beziehung von Mensch zu Mensch konstituiert sich also über den Tod, genauer über die Verletzlichkeit - die Sterblichkeit - des Menschen, und weist gerade so über diesen Tod hinaus, weil sie eine Unbedingtheit einfordert, die nur in der Spur eines Ganz-Anderen ihre Tragkraft erfährt.

Im folgenden Vortrag von Nacim Ghanbari ging es um die Erbschaft die Derrida antritt, wenn er in seinem Werk „Glas“ („Totenglöckchen“) Hegel und Jean Genet bedenkt. Diese Erbschaft besteht einerseits darin, zu bewahren und somit das Bleibende zu sichern, andererseits aber auch darin, nur mehr Reste der Vordenker übrigzulassen. Das Werk spielt dabei mit den gängigen Regeln des angemessenen Umgangs mit dem Erbe der geistigen Väter, indem es bewußt zitiert und dennoch unkenntlich macht, was noch Zitat und was schon eigene Gedanken sind. Das Buch versinnbildlicht auf diese und andere Weisen das Ineinanderfließen von Ererbtem und Eigenem.

Der letzte Vortrag von Burkhard Gladigow bedachte den Wandel der Vorstellungen über die Phase nach dem Tod. Besonders der zeitliche Aspekt in den Jenseitsvorstellungen kam dabei zur Sprache. Ab dem 6. vorchristlichen Jahrhundert deutet sich ein Umkippen der zeitlichen Relationen von Lebenszeit und Dauer des Todes im Mittelmeerraum an, das einerseits eine Notwendigkeit, Vorbereitungen für dieses Leben nach dem Tod zu treffen, mit sich brachte, andererseits aber auch zu neuen Strategien der Lebensführung und geänderten Bestattungspraxen führte. Der Wandel des Todesverständnisses geht also einher mit einem Wandel des Lebensverständnisses und führt damit zu einer geänderten Lebensweise.

 

München, den 31. Januar 2005