Im Gleichniss
gesprochen.
— Ein Jesus Christus war nur in einer jüdischen Landschaft möglich — ich meine
in einer solchen, über der fortwährend die düstere und erhabene Gewitterwolke
des zürnenden Jehovah hieng. Hier allein wurde das
seltene plötzliche Hindurchleuchten eines einzelnen Sonnenstrahls durch die
grauenhafte allgemeine und andauernde Tag-Nacht wie ein Wunder der „Liebe“
empfunden, als der Strahl der unverdientesten
„Gnade“. Hier allein konnte Christus seinen Regenbogen und seine Himmelsleiter
träumen, auf der Gott zu den Menschen hinabstieg; überall sonst galt das helle
Wetter und die Sonne zu sehr als Regel und Alltäglichkeit.
Der Irrthum
Christi. —
Der Stifter des Christenthums meinte, an Nichts
litten die Menschen so sehr, als an ihren Sünden: — es war sein Irrthum, der Irrthum Dessen, der
sich ohne Sünde fühlte, dem es hierin an Erfahrung gebrach!
So füllte sich seine Seele mit jenem wundervollen phantastischen Erbarmen, das
einer Noth galt, welche selbst bei seinem Volke, dem
Erfinder der Sünde, selten eine grosse Noth war! — Aber die Christen haben es verstanden, ihrem
Meister nachträglich Recht zu schaffen und seinen Irrthum
zur „Wahrheit“ zu heiligen.
Farbe der Leidenschaften. — Solche Naturen, wie die
des Apostel Paulus, haben für die Leidenschaften einen bösen Blick; sie lernen
von ihnen nur das Schmutzige, Entstellende und Herzbrechende kennen, — ihr
idealer Drang geht daher auf Vernichtung der Leidenschaften aus: im Göttlichen
sehen sie die völlige Reinheit davon. Ganz anders, als Paulus und die Juden,
haben die Griechen ihren idealen Drang gerade auf die Leidenschaften gewendet
und diese geliebt, gehoben, vergoldet und vergöttlicht; offenbar fühlten sie sich
in der Leidenschaft nicht nur glücklicher, sondern auch reiner und göttlicher,
als sonst. — Und nun die Christen? Wollten sie hierin zu Juden werden? Sind sie
es vielleicht geworden?
Grösster
Nutzen des Polytheismus.
— Dass der Einzelne sich sein eigenes Ideal aufstelle und aus ihm sein Gesetz,
seine Freuden und seine Rechte ableite — das galt wohl bisher als die ungeheuerlichste
aller menschlichen Verirrungen und als die Abgötterei an sich; in der That haben die Wenigen, die diess
wagten, immer vor sich selber eine Apologie nöthig
gehabt, und diese lautete gewöhnlich: „nicht ich! nicht ich! sondern ein Gott
durch mich!“ Die wundervolle Kunst und Kraft, Götter zu schaffen — der
Polytheismus — war es, in der dieser Trieb sich entladen durfte, in der er sich
reinigte, vervollkommnete, veredelte: denn ursprünglich war es ein gemeiner und
unansehnlicher Trieb, verwandt dem Eigensinn, dem Ungehorsame und dem Neide.
Diesem Triebe zum eigenen Ideale feind sein: das war ehemals das Gesetz jeder
Sittlichkeit. Da gab es nur Eine Norm: „der Mensch“ — und jedes Volk glaubte
diese Eine und letzte Norm zu haben. Aber über sich und ausser
sich, in einer fernen Ueberwelt, durfte man eine
Mehrzahl von Normen sehen: der eine Gott war nicht die Leugnung oder Lästerung
des anderen Gottes! Hier erlaubte man sich zuerst Individuen, hier ehrte man
zuerst das Recht von Individuen. Die Erfindung von Göttern, Heroen und Uebermenschen aller Art, sowie von Neben- und
Untermenschen, von Zwergen, Feen, Centauren, Satyrn,
Dämonen und Teufeln, war die unschätzbare Vorübung zur Rechtfertigung der
Selbstsucht und Selbstherrlichkeit des Einzelnen: die Freiheit, welche man dem
Gotte gegen die anderen Götter gewährte, gab man zuletzt sich selber gegen
Gesetze und Sitten und Nachbarn. Der Monotheismus dagegen, diese starre Consequenz der Lehre von Einem Normalmenschen — also der
Glaube an einen Normalgott, neben dem es nur noch falsche Lügengötter giebt — war vielleicht die grösste
Gefahr der bisherigen Menschheit: da drohte ihr jener vorzeitige Stillstand,
welchen, soweit wir sehen können, die meisten anderen Thiergattungen
schon längst erreicht haben; als welche alle an Ein Normalthier und Ideal in
ihrer Gattung glauben und die Sittlichkeit der Sitte sich endgültig in Fleisch
und Blut übersetzt haben. Im Polytheismus lag die Freigeisterei und Vielgeisterei des Menschen vorgebildet: die Kraft, sich
neue und eigene Augen zu schaffen und immer wieder neue und noch eigenere: sodass es für den Menschen allein unter allen Thieren keine ewigen Horizonte und Perspectiven
giebt.